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Mostar – die vielleicht faszinierendste Stadt, die ich kenne

Als ich vor bald 15 Jahren meine erste Reyse tat, war ich auch in Mostar gelandet. Der Ort hatte mir ausserordentlich gut gefallen und ich freute mich sehr, hierher zurückzukehren. Zumal ich es im touristischen Dubrovnik kaum mehr ausgehalten hatte. Es scheint einen umgekehrten Koeffizienten zu geben zwischen touristischer Attraktivität eines Ortes und der Attraktivität der diesen Ort besuchenden Touristen…

Touristisch ist Mostar zwar auch, aber selten habe ich derart freundliche und zuvorkommende Menschen an einem derart idyllisch gelgegenen Ort erlebt – und dies, obwohl hier vor gut 20 Jahren ein schrecklicher Bürgerkrieg geherrscht hatte. Oder gerade wegen – vielleicht trauen sich die Touristenmassen schlicht noch nicht hierher, da Bosnien-Herzegowina immer noch mit dem Krieg in Verbindung gebracht wird. Verglichen mit dem Zweiten Weltkrieg würden wir uns allerdings bereits im Jahre 1967 befinden…

Als ich über meine meistgehasste und doch so praktische Buchungsplattform ein Hotel in Mostar suchte, war ich erstaunt, dass fast alle Hotels eine ausserordentlich gute Bewertung erhalten hatten. Und dies wohl zu recht. Angekommen im Hotel meiner Wahl, konnte ich zwei Zimmer anschauen und eines davon auswählen – was ich glaub noch nie erlebt hatte. Das eine Zimmer war etwas kleiner, dafür mit Blick auf die berühmte Brücke, das andere hatte ein eigenes Wohnzimmer, auf dessen Sofa ich grad diese Zeilen schreibe. Der Wahnsinn! Modern, schön, günstig – und eine überaus sympathische Receptionistin, die fliessend französisch sprach und es sichtlich genoss mit mir in dieser Sprache konversieren zu können.

Da es inzwischen schon acht geworden war und ich noch nichts gegessen hatte, ging ich auf die Suche nach etwas Essbarem. Auf dem Weg dahin kam ich an diesem Kind vorbei, ein Bild, das mich mitten ins Herz getroffen hat. Vorerst traute ich mich nicht, eine Foto zu machen und machte es mir stattdessen in diesem Cevapi-Restaurant bequem, nicht ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Die Bedienung aber versprühte eine solche Lebensfreude, dass ich mich gleich wohlfühlte. Nach einer phänomenalen Mahlzeit konnte ich es mir nicht verkneifen, sie zu fragen, warum die Menschen in Mostar so freundlich seien. Sie meinte, es habe mit der Armut zu tun, vielleicht könnte man es auch als Galgenhumor bezeichnen. Allerdings lohnte sich ihre Art für sie auch finanziell – die Tips waren nicht nur von mir eindeutig überdurchschnittlich hoch und morgen werde ich ihr noch echte Schweizer Schokolade vorbeibringen…

Kurz nach der Mahlzeit wollte ich das Restaurant wieder verlassen, das Kind hatte mich nicht in Ruhe gelassen und ich wollte sehen, ob es noch da war – und ja, ich wollte auch eine Foto machen. Doch so schnell konnte ich das Restaurant nicht verlassen – zuvor wurde mir noch ein Bier spendiert – und einer schwangeren Dame, die offensichtlich ebenfalls sehr zufrieden gewesen war ein Mineralwasser…

Wenig später stand ich wieder vor dem Kind und machte meine vielleicht unethischen Fotos und war tief bewegt. Auf der einen Seite diese Offenheit, diese Grosszügigkeit, auf der anderen ein Kind, das am Rand der Strasse schläft – oder zu schlafen vorgibt, wie ich kurze Zeit später annehmen musste. Denn nachdem ich ihm eine wohl unverhältnismässig grosse „Spende“ gegeben hatte und einige Zeit später zurückkehrte, war es natürlich verschwunden.

Hat es sich eine gute Mahlzeit gegönnt, ist alles gut gegangen, aber bettelnde Kinder zu unterstützen ist meist kontraproduktiv. Zum einen müssen sie das Erworbene meist wieder abgeben, zum anderen hält es sie davon ab zur Schule zu gehen. Aber das war mir in dem Moment egal – Himmel und Hölle liegen in Mostar so nahe zusammen wie Moscheen und Kirchen, wie Krieg und Frieden. Was mir schon bei der letzten Reyse aufgefallen war – auch da beschrieb ich einen Obdachlosen, den ich in einer Ruine gesichtet hatte und der mich viel stärker berührt hatte als seine Leidensgenossen an anderen Orten.

Zurück im Hotel fragte ich auch die Receptionistin, warum die Menschen hier so freundlich seien. Auch sie erwähnte die Armut. Die Perspektivlosigkeit. Die fehlenden Jobs. Man müsse sich Mühe geben. Dabei hat sich die Umgebung von Mostar in den letzten 15 Jahren stark gewandelt und wirkt es deutlich reicher als Albanien. Aber ich bin ja auch erst seit gut zwei Stunden in diesem faszinierenden und landschaftlich so unglaublich reizvollen Land.

An der heutigen Situation ist aber weniger der Krieg als die Regierung schuld, wie sie betont. Auf meine Frage, woher sie so fehlerfrei französisch rede, antwortet sie mit der Bemerkung, dass sie während des Krieges nach Frankreich geflüchtet seien. Und plötzlich ist dieser wieder präsent.

Das Gymnasium von Mostar 2004 und 2017

Als wir mit dem Bus in Mostar ankamen, erkannte ich das Gymnasium wieder. Die „Löcher“ waren im Gegensatz zu meinem letzten Besuch inzwischen allerdings repariert. Hoffnungsfroh schaute ich auf die andere Strassenseite und bemerkte konsterniert, dass viele Ruinen weiter vor sich hin moderten. Während wir in der Agglomeration an vielen „Konsumtempeln“ vorbeigefahren waren, die auf eine rasante wirtschaftliche Entwicklung schliessen liessen, war ich bereits wieder im Krieg gelandet.